# Pentaradio vom 27. Juni 2023 # Titel: "Ab in den Urlaub, und vorher nieder mit Ad-Tech" Mit Mole und Xyrill. Die News sind voller Warnungen: vor Tracking, teuren Lizenzverträgen, Code-Erzeugungs-KI und Gottesdienst-Automatisierung. Gegen die Dominanz von Werbegiganten wie Google und Facebook über die Presselandschaft hingegen bringt Warnen nichts mehr, denn die ist längst Realität. Deswegen stellen wir ein Thesenpapier von Cory Doctorow vor, das stattdessen Lösungen vorschlägt. Auf Basis der Livesendung vom 27. Juni 2023. ## News * [iOS 17 entfernt automatisch Tracking-Parameter aus Links](https://9to5mac.com/2023/06/08/ios-17-link-tracking-protection/) * Beispiel aus der Ankündigung: `https://example.com/ad_engagement?click_id=YmVhODI1MmZmNGU4&campaign_id=23` wird zu `https://example.com/ad_engagement?campaign_id=23` ohne personalisierte Identifikationsnummer * [Kleine Anfrage der Linkspartei zu Lizenzkosten für Microsoft-Produkte an sächsischen Hochschulen](https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=13259&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined) * Der obige Link ist ein Deeplink in den Dokumentenserver des Sächsischen Landtags. Sofern dieser wegrottet, kann man über die Webseite des Landtages den Dokumentenserver (EDAS) finden und dort nach Drucksache 7/13259 suchen (Suchstichwort: "Microsoft Campus Agreement"). * insgesamt etwa 1,2 Mio. € für einen "Microsoft Campus and School-Vertrag, Enrollment for Education Solutions" * Laut Antwort des Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus seien die Verträge unter einsehbar. Wie man in einminütiger Recherche herausfindet, ist dies falsch. * ✨KI✨: [Google weist Mitarbeiter an, die eigene Code-Erzeugungs-KI nicht zum Code erzeugen zu verwenden](https://www.theregister.com/2023/06/19/even_google_warns_its_own/) * "Der Such- und Werbekonzern erklärte gegenüber Reuters, dass das interne Verbot eingeführt wurde, weil Bard 'unerwünschte Codevorschläge' ausgeben kann. Probleme könnten möglicherweise zu fehlerhaften Programmen oder komplexer, aufgeblähter Software führen, deren Behebung die Entwickler mehr Zeit kostet, als wenn sie keine KI zur Programmierung verwendet hätten." (Übersetzung mit Hilfe von DeepL) * ✨KI✨: [Mit ChatGPT automatisch generierter Gottesdienst auf dem Kirchentag](https://www.br.de/nachrichten/bayern/liebe-freunde-so-predigt-kuenstliche-intelligenz-am-kirchentag,TggDaOT) * Der verantwortliche Pfarrer "hat einen Algorithmus mit ein paar spezifischen Rahmendaten gefüttert: Kirchentag, Nürnberg und das Motto: Jetzt ist die Zeit. Der Rest läuft automatisch. '98 Prozent kommen aus der Maschine. Was ich gemacht hab war, Übergangsfehler korrigieren. Anschlussfehler', erklärt Jonas Simmerlein vor dem Gottesdienst." * wesentliche Reaktion des Publikums: Interesse an der Kuriosität * "Anna, die sich mit KI bisher wenig befasst hat, wie sie selbst sagt, fand den Gottesdienst 'total interessant' und meinte: 'Ich finde es wirklich sehr überraschend, wie viel die Künstliche Intelligenz schon hat.' Lucas hat bei der Predigt 'Bausteine, viele Standartsätze \[sic], die immer so kommen' herausgehört." * Spekulation über Anwendungsmöglichkeiten in dünn besiedelten Gegenden mit Pfarrkräftemangel * Fundstück: [Zeitraffer der Erdrotation gegen statisches Firmament](https://artuniverse.eu/gallery/190705-rotation24h) von Bartosz Wojczyński ## Thema: Vorschläge zur Rettung der Presse vor Big Tech Grundlage: [Ein Thesenpapier von Cory Doctorow für die EFF](https://www.eff.org/files/2023/06/14/saving_the_news_from_big_tech_eff.pdf) (alle untenstehenden Zitate übersetzt mit Hilfe von DeepL) * Ausgangssituation: Journalistisches Geschäftsmodell basiert auf der Verbreitung von Werbung und Anzeigen * Disruption durch Online-Anzeigen (Ebay, Craigslist, etc.) und Online-Werbeplattformen (insb. Google, Facebook) * Zentralisierung des modernen Internets ("fünf gigantische Webseiten voller Bildschirmfotos der anderen vier") führt zu Vendor Lock-In im Werbemarkt * Zeitungsindustrie war selbst nicht unschuldig: Konzernbildung ebenfalls hier, damit Verschiebung des Fokus von lokaler zu nationaler Werbung * ineffektive Vorschläge aus der politischen Debatte * "Link Tax" (in Dtl. analog Leistungsschutzrecht, § 87f ff. UrhG): zementiert die Machtdynamik zwischen den großen Techkonzernen und den großen Verlagen; unterdrückt kleinere bzw. gemeinnützige Marktteilnehmer * "In Kanada hat die drohende Link-Steuer die Techkonzerne davon überzeugt, 'freiwillig' an den Toronto Star, Kanadas auflagenstärkste Zeitung, eine Lizenzgebühr zu zahlen, woraufhin der Star die Veröffentlichung seiner ausgezeichneten, äußerst kritischen investigativen Serie über Big Tech einstellte." * Vorschlag CCC: [Kulturwertmark](https://www.ccc.de/de/faq-kulturwertmark) * Vorschlag 1: Werbeplattformen zerschlagen -> gesetzlich die Union von mehreren Ebenen der klassischen dreiteiligen Werbeplattform verbieten * "Supply-Side Platform": vertritt Webseitenbetreiber, die ihren Nutzern Werbung zeigen wollen * "Demand-Side Platform": vertritt Anzeigekunden, die ihre Produkte und Dienstleistungen bewerben wollen * "Marketplace": verbindet das Angebot (Supply) mit der Nachfrage (Demand) * aktuelle Situation: "Somit gibt es jeden Tag Millionen von Transaktionen, bei denen Google (stellvertretend für einen Verleger) Google (stellvertretend für den Marktplatz) über einen zu verkaufenden Anzeigenplatz informiert. Daraufhin gibt Google (als Vertreter vieler verschiedener Inserenten) Gebote für diesen Anzeigenplatz." * Marktmanipulation somit trivial möglich und extrem schwer kartellrechtlich zu verfolgen -- 50% aller Werbeausgaben verschwinden in den Taschen von Ad-Tech * analoge historische Entwicklung: Ölmonopole (Standard Oil) und Eisenbahnmonopole des 19. Jhd. * Vorschlag 2: Verbot personalisierter Werbung * Dazu gab es [im Oktober 2021 schon ein ganzes Pentaradio](https://c3d2.de/news/pentaradio24-20211026.html). Es folgt die Kurzzusammenfassung. * Das historische Argument: Früher sind wir auch ohne ausgekommen. * Das Marktargument: Personalisierte Werbung fördert Monopolbildung. * Das Gerechtigkeitsargument: Personalisierte Werbung fördert Diskriminierung. * Das demokratische Argument: Personalisierte Werbung zerstört den gemeinsamen politischen Diskurs. * Das ökologische Argument: Personalisierte Werbung erfordert riesige Datensammelmaschinen, die wahnwitzige Mengen von Energie verschwenden. * Das Datenschutzargument: Personalisierte Werbung ist einer der wesentlichen Eckpfeiler des [Überwachungskapitalismus](https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberwachungskapitalismus). * "Aber es ist auch gut für die Verlage. Kein Verlag wird je so viel über das Verhalten der Leser wissen wie ein Ad-Tech-Unternehmen; aber Ad-Tech wird niemals so viel über die Inhalte eines Verlags wissen wie der Verlag selbst. Das bedeutet, dass es für Ad-Tech viel, viel schwieriger sein wird, einen großen Teil der Einnahmen des Verlags für sich zu beanspruchen. Und es wird für die Verleger viel, viel einfacher sein, den Werbetechnik-Anbieter zu wechseln, wenn jemand dies versucht. Das bedeutet, dass die Verleger ein größeres Stück vom Kuchen der kontextbezogenen Werbung abbekommen werden, als wenn der Kuchen mit Überwachungsanzeigen gefüllt ist." * Vorschlag 3: App-Store-Monopol brechen * Doctorow zeichnet eine Historie des originalen Appstore (auf Apple iOS) analog zu seiner These der "Enshittification of Platforms" * Enshittification: "So sterben Plattformen: Erst sind sie gut zu ihren Nutzern. Dann missbrauchen sie ihre Nutzer, um sich den Geschäftskunden anzubiedern. Schließlich missbrauchen sie diese Geschäftskunden, um den ganzen Profit für sich selbst zu sichern. Dann sterben sie." * analog bei iOS: erst große Nutzerbasis durch gute Hardware und freien Zugriff aufs Internet von unterwegs, dann Aufbau des App-Ökosystems durch Versprechen der Zahlmethoden-Neutralität an Verlage; dann Regeländerung und 30% Zwangs-Transaktionsgebühren auf alle In-App-Käufe * zum Vergleich: normale Transaktionsgebühren bei Zahlungsdienstleistern sind eher so 2-3% * klassisches Gegenargument (also pro Appstores) ist die Sicherheit, aber diese Sicherheit ist [sowieso schon lückenhaft](https://arstechnica.com/information-technology/2022/03/scammers-have-2-clever-new-ways-to-install-malicious-apps-on-ios-devices/) * Vorschlag 4: algorithmischen Einfluss auf Social-Media-Timelines verbieten * "End-to-End Web": Wenn eine Nutzerin dem Profil einer Zeitung oder eines Freundes folgt, sollen auch tatsächlich alle Posts dieses Absenders im Newsfeed landen. So wie bei einem RSS-Feed. * Realität heute: Um als Nutzer von Twitter/Facebook tatsächlich alle Follower zu erreichen, muss man die eigenen Posts mit Geld boosten (Facebook) oder ein Bezahlabo abschließen (Twitter). * Vorteile von End-to-End (im Vergleich z.B. zu Anti-Hass-Regelungen wie dem NetzDG): einfach zu überprüfen (durch Testläufe von Verbraucherschutz, Kartellamt, etc.) und einfach zu implementieren (auch für kleine und gemeinnützige Anbieter) * Analogie zu Netzneutralität: "Als die Telko-Industrie zu einem Knäuel von Profitmaximieren geronn, bauten wir ein besseres Netzwerk, basierend auf dem Ende-zu-Ende-Prinzip."