# Pentaradio vom 26. März 2019 "Wir sind die Bots, Uploadfilter sind zwecklos" ## News Technik: * [PuTTY 0.71](https://www.chiark.greenend.org.uk/~sgtatham/putty/) * durch EU-finanzierte Bug Bounty jede Menge Sicherheitslücken gefunden und geschlossen * [Datenreichtum bei Facebook](https://krebsonsecurity.com/2019/03/facebook-stored-hundreds-of-millions-of-user-passwords-in-plain-text-for-years/): Passwörter der nutzer von Facebook Lite, Facebook und Instagram wurden von 2012 bis 01/2019 im Klartext gespeichert * [Datenarmut bei Myspace](https://www.golem.de/news/social-media-pionier-myspace-hat-musik-aus-mehr-als-zehn-jahren-verloren-1903-140074.html): alle Musikdateien von vor 2016 sind weg Netzpolitik: * [Bundesrat will Darknet verbieten](https://www.golem.de/news/gesetzesinitiative-des-bundesrates-neuer-straftatbestand-handelsplattform-betreiber-im-darknet-1903-140105.html) * bis zu drei Jahre Haft für Anbieter von Internetdiensten, "deren Zweck oder Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten" zu ermöglichen oder zu fördern, sofern der Zugang zum Dienst "durch besondere technische Vorkehrungen beschränkt" sind * keine Schutzlücke: Betreiber von "Deutschland im Deep Web", Alexander U., wurde in 12/2018 zu 6 Jahren Haft verurteilt (auf dieser Plattform hatte der Attentäter von München seine Waffe gekauft) Monopolisten-Watch: * [Browser-Wahl jetzt auch auf Google's Android](https://www.golem.de/news/android-google-fragt-nutzer-kuenftig-nach-bevorzugtem-browser-1903-140132.html) * Streit zwischen Apple und Spotify über In-App-Abos: [EU-Kommission will ein Kartellverfahren prüfen](https://www.golem.de/news/musikstreaming-eu-schaltet-sich-in-streit-zwischen-spotify-und-apple-ein-1903-140029.html) * [F5 kauft nginx](https://www.nginx.com/blog/nginx-joins-f5/) Was Positives zum Schluss: * [20 Jahre Apache Software Foundation](https://www.heise.de/developer/meldung/Apache-Software-Foundation-feiert-20-Jahre-Open-Source-Entwicklung-4350446.html) * [University of California kündigt alle Elsevier-Abos](https://www.universityofcalifornia.edu/press-room/uc-terminates-subscriptions-worlds-largest-scientific-publisher-push-open-access-publicly) * Verhandlungen waren gescheitert, weil Elsevier keinen generellen Open Access für UC-Publikationen gewähren wollte * in Sachsen schon seit 1.1. Elsevier nur noch über Sci-Hub; Wiley und Springer Nature geben sich kompromissbereiter und sind erstmal weiter zugänglich * Open-Access-Anteil aller Paper zurzeit 16%, erwartet: 80-90% in 3-5 Jahren [(Quelle)](https://www.sueddeutsche.de/wissen/wissenschaftsverlage-ohne-open-access-gibt-es-keine-zukunft-1.4241805) ### Simons Außenreporterbericht ## Thema: EU-Urheberrechtsrichtlinie Was ist Urheberrecht? Zeitachse: [(Quelle)](https://netzpolitik.org/2019/urheberrechtsreform-was-in-den-letzten-drei-jahren-geschah/) * Juni 2015: Rechtsausschuss im EU-Parlament fordert Kommission zu einer Novellierung des Urheberrechts auf (Berichterstatterin: Julia Reda) [(Quelle)](https://juliareda.eu/2015/06/reda-bericht-angenommen-ein-wendepunkt-in-der-urheberrechtsdebatte/) * Ziele: * Zugang zu Bildung/Wissen für alle Europäer erleichtern * neue Urheberrechtsschranken (z.B. Remixes, Digitalisierung von Bibliotheksbeständen, Ausleihen von e-Books, Text/Data-Mining) * Harmonisierung bestehender Urheberrechtsschranken * Kompromiss: keine Forderung nach Verkürzung der absurden Schutzfristen * September 2016: erster Entwurf der Kommission (Günther Oettinger, damals Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft; Andrus Ansip, Estland, Kommissar für digitalen Binnenmarkt) [(Quelle)](https://netzpolitik.org/2016/geleakter-entwurf-der-eu-urheberrechtsrichtlinie-viele-versaeumnisse-dafuer-20-jahre-leistungsschutzrecht/) * drei neue Schranken: * für Text/Data Mining durch Forschungseinrichtungen * für digitale und grenzüberschreitende Bildungsaktivitäten (aber zahnlos, denn greift nur, wenn die Lehrbuchverlage keine entsprechenden Bezahlangebote haben) * für Digitalisierung zur Sicherung kulturellen Erbes (aber nicht zur Öffentlichmachung) * Liberalisierung der nichtkommerziellen Nutzung vergriffener Werke * aber: * keine Harmonisierung der bestehenden Urheberrechtsschranken (siehe Exkurs unten), kein Fair Use * **Artikel 11**: 20 Jahre Leistungsschutzrecht für Verleger (20 Jahre! Auf tagesaktuelle Presseerzeugnisse!) * **Artikel 12**: Recht auf Verlage auf Anteil an Pauschalvergütungen für Autoren durch Verwertungsgesellschaften (z.B. VG Wort) -- war vom BGH gerade im April 2016 für rechtswidrig erklärt worden * **Artikel 13**: Uploadfilter * Witzig: Was Netzpolitik.org zur damaligen Fassung von Artikel 13 sagte. > Mit dieser Klausel wird eigentlich nur die herrschende Rechtsprechung nachvollzogen, welche Plattformen für nutzergenerierte Inhalte wie YouTube schon heute Rechtsdurchsetzungsmaßnahmen á la Content ID auferlegt. * Februar 2017: offener Brief von Rechtswissenschaftlern lehnt Artikel 11-13 als nicht evidenzbasiert ab (d.h. es fehlen Anhaltspunkte, dass das Gesetz seine Ziele erreicht bzw. dass es keine Alternativen gibt) [(Quelle)](http://www.create.ac.uk/wp-content/uploads/2017/02/OpenLetter_EU_Copyright_Reform_22_02_2017.pdf) * zu Artikel 11 (Leistungsschutzrecht, LSR): * Die Kommission (K) liefert keine Belege dafür, dass die Einschränkung des Zugangs zu Nachrichten etwas gegen die sinkenden Umsatzzahlen der Presseverlage hilft. * K argumentiert, dass Presseverlage einen Beitrag bei der Erstellung von Pressetexten leisten. Das ist irreführend, denn dieser Beitrag ist wesentlich kleiner als z.B. bei Produktionsfirmen in der Musik- und Filmbranche. * Entweder folgen aus dem LSR zusätzliche Zahlungen an die Verlage, dann wird der Anteil der Autoren kleiner. Oder es wirkt sich nicht finanziell aus, dann ist das LSR sinnlos. * zu Artikel 13 (Uploadfilter): * Der Entwurf verwirft ohne Not die Teilung von Verantwortlichkeiten zwischen Rechteinhabern und Diensteanbietern, die in der E-Commerce-Richtlinie von 2000 festgelegt war ("Notice and Takedown": Rechteinhaber müssen nach Verstößen suchen und diese melden, Diensteanbieter müssen auf diese Meldungen schnell reagieren). * Intention von "Notice und Takedown" war Rechtssicherheit für Anbieter von Diensten mit User-Generated Content (groß wie klein!). * K liefert keine Belege, dass die Verschiebung der Verantwortung komplett zu den Diensteanbietern irgendwas verbessert. * K erklärt nicht, wie und auf welcher rechtlichen Grundlage Diensteanbieter für die Inhalte ihrer Nutzer zahlen sollen. * allgemein: * Jede Extra-Klausel im Urheberrecht erhöht die Hürden für Innovation und neue Marktteilnehmer. Große Unternehmen können leicht passende Verwertungsverträge aushandeln, Startups und gemeinnützige Nachrichtenlieferanten nur schwer. * denkbare Gegenmaßnahmen in der Praxis * Rechtsfreie Räume sollen ja nicht existieren, dann bitte Unrechtsfreie Räume fördern * bitte nicht Kryptografie zur Anonymisierung von Online-Speichern und Uploadern einsetzen * unbedingt vermeiden, beispielhaft: * sia: https://www.sia.tech/ * storj: https://storj.io/ * freenet: https://freenetproject.org/ * Fragenkatalog der Rechtswissenschaftler zu Artikel 13: * Warum reicht "Notice and Takedown" nicht aus? * Wie verfügbar (und wenn ja, wie teuer) sind passende Filtertechnologien? * Wie präzise sind sie? * Können KMUs und Startups sie sich leisten? * Welche Dienste wären betroffen? (Social Media? Cloud-Hosting? Nachrichtenaggregatoren? Wikis? Foren?) * Stellen die Anforderungen eine Eintrittshürde in den Markt dar? * Werden die daraus folgenden Lizenzvereinbarungen den Kreativen nützen? * Wie effektiv sind Maßnahmen zur Vermeidung von Overblocking? * Beeinträchtigen Uploadfilter die Ausübung der Meinungsfreiheit? * Wie können die Auswirkungen eines derartigen durch Privatunternehmen betriebenen Filters öffentlich und transparent gemacht werden? * Februar 2017: Berichterstatterin des Verbraucherausschusses im EU-Parlament lehnt den Kommissionsentwurf ab * März 2017: Berichterstatterin des Rechtsausschusses im EU-Parlament lehnt den Kommissionsentwurf ab * Was ist eigentlich ein Berichterstatter? [Wikipedia sagt:](https://de.wikipedia.org/wiki/Berichterstatter_(Europ%C3%A4isches_Parlament)) > Berichterstatter sind im Europäischen Parlament die Abgeordneten, die im Rahmen der Rechtsetzung der Europäischen Union für einen bestimmten Gesetzesvorschlag zuständig sind. Nachdem die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt hat, benennt der zuständige Ausschuss im Europäischen Parlament genau einen Berichterstatter. Dieser hat die Aufgabe, sich federführend mit dem betreffenden Kommissionsvorschlag auseinanderzusetzen und die Vorlage für die Stellungnahme des gesamten Ausschusses vorzubereiten, die ihrerseits als Entscheidungsgrundlage für das Plenum des Parlaments dient. > Dem Berichterstatter werden immer so genannte Schattenberichterstatter zur Seite gestellt. Das soll verhindern, dass der einer bestimmten Fraktion im Europäischen Parlament zugehörige Berichterstatter den Entscheidungsvorschlag des Ausschusses zu einseitig verfasst. Jede im Ausschuss vertretene Fraktion hat das Recht, einen Schattenberichterstatter zu benennen. Diese sind meist genauso in das Gesetzesvorhaben eingebunden wie der federführende Berichterstatter. * Juni 2017: Parlamentsausschuss für Binnenmarkt/Verbraucherschutz stimmt mehrheitlich gegen Uploadfilter, aber *nicht* gegen Leistungsschutzrecht * Juni 2017: Axel Voss (CDU) löst Comodini Cachia (Malta) als Berichterstatter für die Urheberrechtsreform ab, da sie das EU-Parlament verlässt. * Juli 2017: Parlamentsausschuss für Industrie, Forschung und Energie macht einen halbgaren Vorschlag, Uploadfilter ein bisschen zu entschärfen * Juli 2017: Parlamentsausschuss für Kultur und Bildung möchte Uploadfilter noch verschlimmern und auf Cloud-Dienste (Dropbox, iCloud etc.) ausweiten * November 2017: Parlamentsausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres möchte keine Uploadfilter, stattdessen an "Notice and Takedown" festhalten * Mai 2018: Der Rat beschließt seine Verhandlungsposition: pro LSR, pro Uploadfilter. * Deutschland stimmt dagegen, aber das Bundesjustizministerium gibt sich kompromissbereit, obwohl der Koalitionsvertrag Uploadfilter klar ablehnt. > Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung in Brüssel allenfalls dann bereit, über präventive Maßnahmen zur Sichtung von illegalen Uploads zu sprechen, wenn diese erforderlich und verhältnismäßig sind und sehr zielgerichtet zum Einsatz kommen, und dass ein ‚Overblocking‘ durch klare technische Standards vermieden wird. Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus ein wirksames Beschwerdeverfahren für Nutzer. [(Quelle)](https://netzpolitik.org/2018/eu-staaten-sprechen-sich-fuer-upload-filter-und-leistungsschutzrecht-aus/) * Juni 2018: Rechtsausschuss beschließt seine Änderungsanträge pro LSR und Uploadfilter * Der Rechtsausschuss ist *federführend*, also geht deren Version ins Plenum zur Abstimmung. * Juli 2018: erste Abstimmung im Plenum scheitert * September 2018: zweite Abstimmung im Plenum mit breiter Mehrheit für das Gesetz, aber mit Rissen durch fast alle Fraktionen * Oktober 2018 - Februar 2019: Rat stimmt dem Parlamentsentwurf nicht zu -> Trilog (Vermittlungsausschuss unter Führung der Kommission) * Januar 2019: 11 EU-Länder immer noch gegen die Richtlinie * Deutschland, Belgien, Niederlande, Finnland, Slowenien, Italien, Polen, Schweden, Kroatien, Luxemburg und Portugal * sehen Nutzerrechte nicht hinreichend geschützt * Erfolg der öffentlichen Proteste (vorher war man sich einig) * Diskussion über Ausnahmen für KMU von Uploadfiltern * Februar 2019: Kompromiss * Uploadfilter entfallen für "Plattformen, die jünger als drei Jahre sind, weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen und weniger als 5 Millionen Besucher pro Monat haben" * 26. Februar 2019: Rechtsausschuss des EU-Parlaments stimmt dem Verhandlungsergebnis zu * 23. März 2019: Fast 200.000 Menschen demonstrieren! * Und dazu noch 300.000 gegen Versagen in der Klimapolitik. Das könnte der Beginn einer politischen Zeitenwende sein. * 26. März 2019: Plenum des EU-Parlaments stimmt ebenfalls zu Ich überspringe den März mal im Großen und Ganzen. Der sollte den Hörern noch gut präsent sein. ### Exkurs: "Argumente" der Befürworter * ABER ABER ABER die Künstler * Alles, was den Kreativen wirklich geholfen hätte (z.B. stärkere Verhandlungsposition gegenüber Verlagen), wurde im Trilog gestrichen. * Google soll bezahlen (keine Geschäftsmodelle mehr, die auf Diebstahl aufbauen) * erstens: nimmt gigantischen Kollateralschaden an kleinen Plattformen in Kauf * zweitens: im Gegenteil, Google wird sich eine goldene Nase an Uploadfilter as a Service verdienen (und dadurch noch die Daten der kleinen Plattformen abschöpfen) * Im Gesetz steht nichts von Uploadfiltern. * Sascha Lobo: "Wenn man fordert, dass man in 8 Stunden von New York nach London kommen soll, muss man nicht dazuschreiben, dass es per Flug passieren muss." * "Studie": Filter sind 99% akkurat * Sensitivität mit Spezifität verwechselt ### Exkurs: Schranken des Urheberrechts Achtung: Die Existenz einer Schranke heißt nicht, dass die Nutzung kostenlos ist, sondern nur, dass der Urheber gegen angemessene Vergütung für gewöhnlich die Vervielfältigung erlauben muss. Im deutschen Recht: [(Quelle)](https://de.wikipedia.org/wiki/Schranken_des_Urheberrechts) * Vorübergehende Vervielfältigungen (im Computer, z.B. Zwischenspeicher im RAM) * Rechtspflege und öffentliche Sicherheit (z.B. Kopien zur Verwendung vor Gericht) * Vervielfältigungen zu Gunsten behinderter Menschen * Sammlungen für Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch ("Schulbuchprivileg") * Schulfunksendungen * Öffentliche Reden * Zeitungsartikel und Rundfunkkommentare * Berichterstattung über Tagesereignisse * Zitate * Öffentliche Wiedergabe * Öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung * Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen in öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven * Vervielfältigungen zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch * Kopienversand auf Bestellung (durch Bibliotheken, nur für nichtgewerbliche Zwecke) * Vervielfältigung durch Sendeunternehmen (im Rahmen der inneren Abläufe des Sendebetriebs) * Benutzung eines Datenbankwerkes * Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe in Geschäftsbetrieben * Unwesentliches Beiwerk (z.B. Hauptwerk = Interview in einer Kunstgalerie, Beiwerk = Bilder, die zufällig im Hintergrund zu sehen sind) * Werke in Ausstellungen, öffentlichem Verkauf und öffentlich zugänglichen Einrichtungen (soweit zur Förderung der Veranstaltung notwendig, z.B. Abbildung in Katalogen) * Werke an öffentlichen Plätzen ("Panoramafreiheit") * Bildnisse (sofern auf Bestellung angefertigt, z.B. Abzüge von Urlaubsfotos) ### Vortäge von Julia Reda * https://media.ccc.de/v/31c3_-_6350_-_en_-_saal_2_-_201412291400_-_correcting_copywrongs_-_julia_reda * https://media.ccc.de/v/correcting-copywrongs * https://media.ccc.de/v/33c3-8229-copywrongs_2_0 * https://media.ccc.de/v/13np-29-autokraten_ein_vorbild_sein_wie_die_eu_ueber_das_urheberrecht_die_netzzensur_zur_pflicht_machen_koennte * https://media.ccc.de/v/np14-3-die_eu_urheberrechtsreform_stand_der_debatte * https://juliareda.eu/2019/03/copyright-vote-explained/ ### Vortrag von Martin Sonneborn beim 35C3 EU-Gesetzgebung * https://www.youtube.com/watch?v=E88xurA9qis